Repertoire

Spötterdämmerung – Gemischte Gefühle im Dreivierteltakt

HAPPY INCIDENTS – Grotesken zur Zeit

Illustration: ©Mr. Leu / Grafik: ©Fabian Klein

Monatelang haben wir in den letzten zweieinhalb Jahren auf sie gestarrt. Sie haben uns beherrscht, lahmgelegt, ausgebremst. Sie haben das öffentliche wie das persönliche Leben verändert. Ob sie uns weiter und wieder bestimmen werden, wissen wir nicht, denn längst sind sie nicht unser einziges Problem: INZIDENZEN, im englischen Sprachraum (incidents) nicht nur wissenschaftlich-epidemiologische Beziehungsgrößen, sondern einfach auch VORFÄLLE, EREIGNISSE, ZWISCHENFÄLLE und STÖRFÄLLE des (scheinbar) ganz normalen Lebens.

Und FÄLLE und FALLEN sind nun mal traditionell genau ein Fall fürs GOJ T-A-TR! So haben wir ein Kaleidoskop aus Szenen, Geschichten, Bekenntnissen und Musik erarbeitet, das auch für andere Zeiten, gar Zeitenwenden taugen mag: Denn sind wir nicht immer zwischen den Welten, zwischen Aufsteigen und Fallen …?

Ein #smellsliketeamspirit-Projekt von und mit: Christine Diez, Kai Müller, Britta Roscher, Silvia Sauer, Andreas Schlicht & Petra Steck

Silvia Sauer: „Smells like …“

Das Utopie-Projekt: „Es wäre möglich, es könnte anders sein …“

Foto & Grafik: ©Fabian Klein

Welche Halbwertzeit haben Utopien? Verkehren sie sich in der Realität zwangsläufig in ihr Gegenteil, weil jedem Entwurf von einer idealen Welt und Gesellschaft die Gefahr seiner totalitären Pervertierung innewohnt? Sollte, wer Visionen hat, also vielleicht doch besser zum Arzt gehen, oder brauchen wir gerade heute wieder Visionäre, denen wir glauben können: „I have a dream“? Und wo stehen wir selbst – zwischen Ideal und Wirklichkeit?

Schon in der Arbeit für unser Projekt „feels like Heimat“ (2013) war Utopie eine wichtige inhaltliche Bezugsgröße im Sinne von Robert Menasse: „Heimat ist die schönste Utopie.” Inzwischen hat „Heimat“ nicht nur eine fast inflationäre gesellschaftliche Renaissance erfahren, der Begriff wird zunehmend auch wieder mit äußerst ambivalenten politischen Implikationen aufgeladen.

So haben wir noch einmal Kurs genommen auf Utopia, die Insel, die es eigentlich ja gar nicht gibt. Denn ou-tópos bedeutet im Altgriechischen der „Nicht- oder Nirgend-Ort“; aber schon Thomas Morus spielte mit dem im Englischen gleich gelauteten eu-tópos, dem guten Ort. Und dass es den noch immer geben kann, vielleicht sogar viele davon, daran glauben wir. Trotz aller Fragen, die geblieben sind oder sich drängend neu aufgetan haben.

Foto: ©Sebastian Schön / bildschoen 13

„feels like Heimat“ – Szenen für unterwegs

Foto: ©Fabian Klein / Grafik: ©Karsten Goetz

Irgendwo, zwischen Herkunft und Ankunft, Willkommen und Abschied, liegt Heimat. Aber ist sie ein Ort oder doch nur ein Gefühl? Und welche Heimat wollen oder brauchen wir und wie viel(e) davon?

Das GOJ T-A-TR begibt sich auf eine Entdeckungsreise und nimmt den Zuschauer in seiner szenisch-musikalischen Collage mit auf eine Spurensuche zwischen Heimat-Kunde und Heim-Suchung, Gemüt und Gemütlichkeit, Fernweh und Heimweh, Glücks- und Lebensplänen. Und dabei können schon mal bayrische Gstanzln auf Franz Schubert, Freddy Quinn und die Talking Heads treffen.

Mit uns reist Herr Gerber. Vielleicht ist er alt, vielleicht sogar schon dement, denn er will einfach nur “nach Hause”. Und befindet sich damit in bester Gesellschaft – mit uns allen. “Wo gehen wir denn hin? Immer nach Hause.” Das wusste schon der Romantiker Novalis.

Trailer „Heimat – Szenen für unterwegs“

„Ich möchte den Himmel mit Händen fassen“ – Ein Abend für Selma Merbaum

Fotocollage: ©Fabian Klein

Selma Merbaum wurde 1924 in Czernowitz geboren.1942 stirbt sie im Arbeitslager Michailowka an Flecktyphus. Sieht man eines der wenigen Fotos, die von ihr geblieben sind, denkt man unwillkürlich an Anne Frank. Selmas „Tagebuch“ sind 58 Gedichte, zusammengestellt für ihren Freund Lejser Fichman zu einem Album, dem sie den Titel „Blütenlese“ gibt.

Was Anne dokumentierte, hat Selma ge- und verdichtet: die Sehnsucht nach Liebe und einem eigenen Leben, die Zweifel auf der Suche danach und die unbändige Lust und Entschlossenheit, es mit beidem aufnehmen zu wollen. Und wie bei Paul Celan und Rose Ausländer, beide ebenfalls in Czernowitz geboren, sind die Gedichte von Selma nicht nur Dokumente der untergegangenen deutsch-ostjüdischen Kultur, sondern ein einzigartiges Zeugnis der Liebe zur dichterischen Schönheit der deutschen Sprache: „Es ist eine Lyrik, die man weinend vor Aufregung liest: so rein, so schön, so hell und so bedroht.“(Hilde Domin)

Die musikalisch-szenische Lesung begibt sich auf eine Spurensuche zu Selma, die “keine Zeit gehabt hat, zu Ende zu schreiben” (der letzte Eintrag in ihrem Album).

Mit Petra Steck (Schauspiel & Rezitation) und dem Thomas Bachmann Trio ( Thomas Bachmann: Saxophon / Uli Partheil: Klavier / Ralf Cetto: Bass
Uli Partheil: Nachtschatten